Dezember | Kontrolliert
Mythos Jungfernhäutchen
Längst ist wissenschaftlich belegt, dass das Jungfernhäutchen kein gespanntes Häutchen ist und sich ebenso wenig als Beweis für Jungfernschaft eignet. Vielmehr handelt es sich um einen durchlässigen schmalen Hautsaum, der bei Frauen den Eingang der Vagina bedeckt. Das kleine Häutchen ist zumeist leicht dehnbar und zeigt die natürliche Grenze zwischen äußeren und inneren Geschlechtsorganen an. Verschiedene Organisationen leisten inzwischen Aufklärungsarbeit.
Es ist wichtig, dieses tabuisierte Thema in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Denn in Wirklichkeit geht es nicht vorwiegend um eine wissenschaftliche Frage: Anders als für männliche Jugendliche gilt für jungen Frauen aus verschiedenen Kulturen das strikte Verbot vorehelicher sexueller Beziehungen. Extreme soziale Kontrolle bestimmt ihren Lebensalltag. Mädchen wird damit widerrechtlich generell Selbstbestimmung und persönliche Freiheit verweigert. Auf ihnen lastet ein enormer Druck.
Nach der Hochzeit gilt eine kurze Blutung beim ersten Geschlechtsverkehr als sogenannter (erniedrigender) Jungfrauentest. Bleibt die Blutung aus, empfindet das die ganze Familie als Schande. Viele junge Frauen quält vor der Eheschließung panische Angst. Sie wenden sich in ihrer Notlage oft an Beratungsstellen und Kliniken, die eine Rekonstruktion des "Jungfernhäutchens" vornehmen können. Ärztinnen und Ärzte sehen darin eine legitime Hilfe für Frauen, die ansonsten von sozialer Ausgrenzung oder sogar dem Tod bedroht sind.
Die Bundesregierung bezog bisher nicht Stellung. Anders Skandinavien: Schweden und Norwegen verbannten das Wort "Jungfernhäutchen" aus ihrem Sprachgebrauch, bzw. aus dem Lexikon und ersetzten es durch "vaginale Korona". Dänemark ging im Frühjahr 2019 noch einen Schritt weiter und verbot die medizinische Rekonstruktion, um dem Mythos in patriarchalen Strukturen entgegen zu wirken, dass Frauen nach ihrem ersten Geschlechtsverkehr bluten müssen, um ihre Jungfräulichkeit zu beweisen.