Gesellschaftliche Normierung von Schwangerschaft, Geburt und Säuglingszeit
25. September 2017
Die Zeitschrift Gender 2/2017 reflektiert die aktuelle wissenschaftliche Auseinandersetzung um Schwangerschaft, Geburt und Säuglingszeit. Deutlich werden Widersprüche und Ambivalenzen zwischen individueller Gestaltung, gesellschaftlichen Normierungen und professionellen Ansprüchen, die in dieser Lebensphase wirksam sind. Die Diskussionen in der Hebammenwissenschaft auf der einen und in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften auf der anderen Seite werden aus Sicht der Geschlechterforschung betrachtet.
Schon das Aushandeln der 'Kinderfrage' in Paarbeziehungen ist mit der gesellschaftlichen Erwartung verbunden, dass einer Schwangerschaft ein gemeinsamer Kinderwunsch vorausgehen sollte. Dabei entscheiden Paare nicht immer rational über diese Frage, sondern finden pragmatische und kompromissbasierte paardynamische Lösungen.
Die Vorstellung vom "unternehmerischen Selbst" fördert die Retraditionalisierung der Geschlechterbeziehung während der Schwangerschaft: Schwangeren wird vor dem Hintergrund moderner medizinischer Versorgung nicht nur die Verantwortung für ihre eigene Gesundheit, sondern auch für die des werdenden Kindes übertragen.
Auch für das Gelingen einer "guten" Geburt werden Frauen vor dem Hintergrund einer ausgeprägten Gesundheitsorientierung zunehmend selbst verantwortlich gemacht. Dabei kommt im Vergleich zur sachlichen Informiertheit der Schwangeren ihre Befähigung zur Urteilskraft zu kurz, die auch die Wahrnehmung von Momenten der Angewiesenheit, Achtsamkeit, Angst und Freude einschließt. Ähnliches gilt für die Ansprüche an stillende Mütter, wie die Analyse der professionelle Stillförderung auf einer Geburtshilfestation zeigt.
Als interessante Ausdrucksform für universelle Bedürfnisse im Zusammenhang von Schwangerschaft und Geburt haben sich Erzählcafés erwiesen, in denen Hebammen- und Elternprotest im geschützten Rahmen offen artikuliert werden konnte.
Die Beiträge aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen zeigen, dass die Lebensphase von Familienplanung, Schwangerschaft und Geburt trotz pluralisierter Familienformen eine große Gefahr für Frauen (und Paare) birgt, in die "Traditionalisierungsfalle" gedrängt zu werden.
Schwangerschaft, Geburt und Säuglingszeit: zwischen individueller Gestaltung, gesellschaftlichen Normierungen und professionellen Ansprüchen; Gender - Zeitschrift für Geschlecht, Kultur und Gesellschaft, Heft 2, 9. Jahrgang 2017. Herausgegeben vom Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW, www.gender-zeitschrift.de