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Arbeitstage von über 12 Stunden?

Die von der Bundesregierung angeführten Ziele – wirtschaftliche Impulse, Interessen von Beschäftigten an Flexibilität und Erhalt des Arbeitsvolumens trotz demografischen Wandels – lassen sich durch weiter deregulierte Arbeitszeiten nicht erreichen, warnen die HSI-Fachleute Dr. Amélie Sutterer-Kipping und Dr. Laurens Brandt. Denn erstens könne eine weitgehende Lockerung der täglichen Arbeitszeit bestehende gesundheitliche Probleme in der Erwerbsbevölkerung verschärfen, was das Arbeitspotenzial schwächt statt stärkt. Zweitens würde sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter verschlechtern, was insbesondere die Teilnahme von Frauen am Erwerbsleben einschränkt. „Eine Arbeitszeitderegulierung, die Erkenntnisse von Arbeitsmedizin und Arbeitsforschung ausblendet und an der sozialen Realität vorbeigeht, dürfte wirtschaftlich sogar kontraproduktiv wirken. Denn sie würde gerade jene Entwicklungen bremsen, die in den vergangenen Jahren wesentlich zu Rekordwerten bei Erwerbstätigkeit und Arbeitsvolumen beigetragen haben und gleichzeitig Probleme bei Gesundheit und Demografie verschärfen“, sagt Expertin Sutterer-Kipping.

-Arbeitsvolumen auf Rekordniveau-

Um sich ein vollständiges Bild über die Entwicklung der Arbeitszeit in Deutschland zu machen, müssen neben der durchschnittlichen Jahresarbeitszeit auch die Entwicklung der Erwerbstätigkeit und das Arbeitszeitvolumen betrachtet werden. Die HSI-Forschenden tun das mit aktuellen Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).

Die Zahlen der abhängig Beschäftigten bzw. der Erwerbstätigen erreichten nach dem IAB im Jahr 2023 mit einem Jahresdurchschnitt von 42,2 bzw. 46,0 Millionen Personen Höchststände. Auch das Gesamtarbeitszeitvolumen verzeichnete Rekordwerte. Insgesamt haben abhängig Beschäftigte in Deutschland 2023 rund 54,59 Milliarden Stunden geleistet, während es 1991 noch 52,20 Milliarden Stunden waren. Inklusive des Arbeitszeitvolumens der Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen stieg das Arbeitszeitvolumen der Erwerbstätigen 2023 sogar auf 61,44 Milliarden Stunden. Im Jahr 2024 blieben beide Größen sehr nahe an diesen Rekordwerten: Die Zahl der Erwerbstätigen stieg noch einmal minimal an, das Arbeitsvolumen der Erwerbstätigen ging geringfügig um 0,1 Prozent auf 61,37 Milliarden Stunden zurück. Die gestiegene Erwerbstätigenzahl und das gestiegene Arbeitszeitvolumen sind wesentlich darauf zurückzuführen, dass heute mehr Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgehen. So ist die Erwerbsquote von Frauen zwischen 1991 und 2022 um 16 Prozentpunkte auf 73 Prozent gestiegen.

„Die Entwicklung der Arbeitszeit zeigt, dass wir uns zunehmend weg vom traditionellen Alleinverdienermodell zu einem Zweiverdienerhaushalt hinbewegen“, analysieren Sutterer-Kipping und Brandt. Dementsprechend steigt das Gesamtarbeitszeitvolumen insgesamt, während die durchschnittlichen Jahresarbeitszeiten gesunken sind. Die durchschnittlich geleistete Arbeitszeit der Beschäftigten lag laut IAB 1991 noch bei rund 1.478 Stunden und im Jahr 2023 bei 1.295 Stunden. Der Rückgang ist stark auf die kontinuierlich gestiegenen Teilzeitquoten zurückzuführen. Knapp ein Drittel der Beschäftigten arbeitete 2023 in Teilzeit, unter den erwerbstätigen Frauen sogar fast jede zweite, und das nicht immer freiwillig. Gerade bei Müttern schränken unbezahlte Sorgearbeit und unzureichende Betreuungsmöglichkeiten die Kapazitäten für den Erwerbsjob ein. Rechnerisch senkt das die durchschnittliche Jahresarbeitszeit pro Kopf, was zu einer im europäischen Vergleich relativ geringen durchschnittlichen Arbeitszeit aller Beschäftigten von 34,7 Stunden pro Woche führt. An diesen Zusammenhängen würde eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes nichts verbessern, im Gegenteil. 

-Geltendes Recht sorgt für erhebliche Flexibilität-

Den Arbeitgebern ermöglicht hingegen schon die geltende Rechtslage eine erhebliche Flexibilität, betonen die HSI-Expert:innen. Der Acht-Stunden-Tag ist zwar seit 1918 eine Konstante im Arbeitszeitrecht, gleichwohl ist ohne weitere Voraussetzung eine deutliche Verlängerung möglich. So kann die Arbeitszeit ohne Rechtfertigung auf bis zu zehn Stunden täglich ausgeweitet werden, wenn innerhalb von sechs Monaten ein Ausgleich erfolgt, also die durchschnittliche Arbeitszeit von acht Stunden werktäglich nicht überschritten wird. Darüber hinaus lässt das geltende Arbeitszeitgesetz zahlreiche branchen- bzw. tätigkeitsbezogene Abweichungen und Ausnahmen durch Tarifvertrag, aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung oder durch behördliche Erlaubnis zu, wobei im Regelfall ein entsprechender Zeitausgleich gewährleistet sein muss. Das erklärt, warum z.B. in Krankenhäusern längere Arbeitszeiten als acht bzw. zehn Stunden möglich sind.

-Überlange Arbeitszeiten gefährden die Gesundheit-

Trotz aller bereits bestehender Flexibilisierungsmöglichkeiten: Dass der Erwerbs-Arbeitstag im Prinzip nach acht Stunden enden soll, ist kein Zufall, sondern Ergebnis wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Gesundheitsschutz. Die Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit würde aber faktisch nach Abzug der Mindestruhezeit von 11 Stunden und der entsprechenden Ruhepause von 45 Minuten eine tägliche Höchstarbeitszeit von 12 Stunden und 15 Minuten ermöglichen. Eine Begrenzung der täglichen Arbeitszeit fände dann nur durch die Mindestruhezeiten und Ruhepausen statt.

Arbeitsmedizinisch ist längst erwiesen, dass Arbeitszeiten von mehr als acht Stunden die Gesundheit gefährden. Langfristig kommt es häufiger zu stressbedingten Erkrankungen, sowohl zu psychischen Leiden wie vermehrtes Auftreten von Burnout-Symptomatik, physischen und psychischen Erschöpfungszuständen, als auch zu körperlichen Erkrankungen, etwa Schlaganfälle, Diabetes und erhöhtes Krebsrisiko. Psychische Erkrankungen sind immer häufiger der Grund für Fehlzeiten und vorzeitiges Ausscheiden aus dem Arbeitsleben. Die Krankheitsdauer bei psychischen Erkrankungen lag nach Daten der DAK 2023 bei durchschnittlich 33 Tagen. „Neben den fatalen Folgen für Arbeitnehmende stellt dies langfristig auch das Gesundheitssystem und Arbeitgebende vor enorme Herausforderungen“, betonen Sutterer-Kipping und Brandt.

Neben höheren Krankheitsrisiken zeigen arbeitsmedizinische Erkenntnisse auch negative Zusammenhänge zwischen langen werktäglichen Arbeitszeiten und dem Unfallgeschehen am Arbeitsplatz. Das Unfallrisiko steigt ab der 8. Arbeitsstunde exponentiell an, sodass Arbeitszeiten über 10 Stunden täglich als hoch riskant eingestuft werden. Nach einer Arbeitszeit von 12 Stunden ist die Unfallrate bei der Arbeit oder bei der anschließenden Fahrt nach Hause im Vergleich zu 8 Stunden um das Zweifache erhöht. Dieses Risiko betrifft nicht nur die Arbeitnehmer*innen selbst, sondern auch Dritte, wie beispielsweise Patient:innen bei medizinischen Tätigkeiten oder Verkehrsteilnehmende.

-Vereinbarkeit von Beruf und Familie leidet-

Weiteres gravierendes Problem: Durch die Einführung einer wöchentlichen Höchstarbeitszeit werden Betreuungskonflikte nicht gelöst, sondern verschärft, so die Forschenden. „Die Vorhersehbarkeit und Planbarkeit von Arbeitszeiten stellen wichtige Schlüsselfaktoren für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dar. Es droht der Effekt einer weiteren Verringerung der Erwerbsarbeit gerade bei Frauen.“ Das schwächt nicht nur das aktuelle Arbeitsangebot. Langfristig verhindert die ungleiche Teilhabe am Arbeitsmarkt die eigenständige Existenzsicherung im Lebenslauf, schmälert nachweislich Aufstiegs- und Weiterbildungschancen und erhöht das Risiko für Altersarmut.

Was Arbeitnehmer:innen hingegen wirklich helfen würde, Erwerbsarbeit und Sorgearbeit unter einen Hut zu bringen, sei mehr Arbeitszeitsouveränität, also Einflussnahme auf die Verteilung der Arbeitszeit. Im Koalitionsvertrag machen die Forschenden an diesem Punkt aber eine Leerstelle aus. „Dort heißt es zwar, dass sich die Beschäftigten und Unternehmen mehr Flexibilität wünschen, der Koalitionsvertrag sieht aber keine Einflussnahme der Arbeitnehmenden auf die Verteilung der Arbeitszeit vor.“ Nach geltender Rechtslage kann sich die konkrete Lage der Arbeitszeit aus dem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder tarifvertraglichen Regelungen ergeben. Sofern hier keine Festlegungen getroffen worden sind, unterliegt die Bestimmung der Lage der Arbeitszeit dem Direktionsrecht der Arbeitgebenden. Sie haben also das letzte Wort. 

Auch vor diesem Hintergrund bewerten die Fachleute die Einführung einer wöchentlichen statt einer täglichen Höchstarbeitszeit als „nicht verantwortbar und die falsche Stellschraube zur Lösung des Problems von gleichberechtigter Sorgearbeit“. Statt diesen Irrweg einzuschlagen, solle sich die Bundesregierung an Reformen der bislang letzten schwarz-roten Koalition orientieren. Mit der 2019 eingeführten Brückenteilzeit sei ein erster Schritt gemacht worden, um der „Teilzeitfalle“ entgegenzuwirken. „Doch bisher gibt es noch zu viele Einschränkungen, als dass dieses Gesetz wirklich ein Ende der Teilzeitfalle bedeuten würde“, schreiben die Forschenden. Gleichzeitig müsse die institutionelle Kinderbetreuung weiter gestärkt werden, denn die Verfügbarkeit von Betreuungsmöglichkeiten sei ein zentraler Hebel für die gleichberechtigte Verteilung der Sorgearbeit.

Quelle: Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 30.5.2025. Die Studie steht auf der Website der Hans-Böckler-Stiftung zur Verfügung.

filia Stiftung fördert FLINTA Gruppen

RISE – Ressourcen für Intersektionale Solidarität und Empowerment unter diesem Motto fördert die Frauenstiftung filia selbstorganisierte FLINTA Gruppen. Zielgruppen sind u.a. FLINTA mit Migrations- oder Fluchtbiografie, Junge FLINTA bis 27 Jahre, LBTIQ+-Personen, FLINTA mit Behinderungen. Die Fördersumme beträgt bis zu 6.000 Euro im Jahr. Für Fragen zur Förderung gibt es im Juni und Juli drei Online Sprechstunden. Antragsschluss ist der 16.7.2025. Alle weiteren Informationen unter www.filia-frauenstiftung.de/filia-foerdert/ressourcen-fuer-intersektionale-solidaritaet-und-empowerment/

Gleichstellungsbeauftragte im ÖRR

Menschen-Machen-Medien ein Angebot der Gewerkschaft Verdi hat eine Zusammenstellung über Gleichstellungsbeauftragte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk veröffentlicht. Sie finden den Artikel auf der Website mmm.verdi.de.

Links zum Thema Gleichstellung in den Rundfunkanstalten finden Sie auch hier auf Vernetzungsstelle.de.

Postkarte zum Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetz (NGG)

Die LAG Gleichstellung hat zum Internationalen Frauentag eine Postkarte entworfen, um an den Nds. Ministerpräsidenten zu appellieren, ein starkes NGG zu ermöglichen und sich vom Gegenwind über den vermeintlich erhöhten Bürokratieaufwand nicht einnehmen zu lassen. Die Postkarte kann digital, per Mail und Social Media verbreitet werden oder selbst ausgedruckt und an den Ministerpräsidenten verschickt werden. Darüber hinaus stehen Informationen zum NGG und einer Briefvorlage zum Versenden an die Mitglieder des Landtages auf der Website der LAG Gleichstellung zur Verfügung.

"SICHTBAR-HÖRBAR-WUNDERBAR"

Gleichberechtigte Teilhabe von Frauen sollte im Jahr 2025 selbstverständlich sein. Unser Kalender zeigt, dass da noch Luft nach oben ist. Damit wir das Anliegen vervielfachen, haben wir uns für einen hybriden Kalender entschieden.

Lassen Sie die Bilder und Sprüche wirken. Senden Sie die Postkarten weiter. Zu lesen gibt es eine Menge auf unserer Website. Jeder Monat hat einen Platz. Das lässt uns Raum für Aktualisierungen und für Sie gibt es einen nachhaltigen Kalender, der über das laufende Jahr hinaus weiter verwendet werden kann. Der Kalender ist als Postkartenkalender in gedruckter Form erhältlich. Die Monatstexte finden Sie hier.

Termine

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01.08.2025 | Meeting für kommunale Gleichstellungsbeauftragte aus Niedersachsen
04.08.2025 | IT-Sommerfestival für Frauen

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Stellenausschreibungen

Hier finden Sie aktuelle Stellenausschreibungen aus den Themenfeldern Gleichstellung und Frauenpolitik:

Die Europa-Universität Flensburg sucht zum 1.Februar 2026 eine Gleichstellungsbeauftragte für die Amtszeit von fünf Jahren. Eine Wiederwahl ist möglich. Die Teilzeitstelle (50%) wird nach EG 13TV-L vergütet. Bewerbungen sind bis zum 13.07.2025 möglich. Weitere Informationen zur Stelle erhalten Sie auf der Website der Universität Flensburg.

Die Stadt Burgdorf sucht zum 01.01.2026 eine Gleichstellungsbeauftragte in Vollzeit. Die Vergütung erfolgt nach EG 11 TVöD. Bewerbungen sind bis zum 27.07.2025 möglich. Vorstellungstermine sind für den 14. und 15. August geplant. Weitere Informationen finden Sie auf der Website der Stadt Burgdorf.

Förderhinweis Vernetzungsstelle.de