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Girls Boss vs. Good Girl

Zwischen Klischee und echter Stärke

In der berühmten Filmtriologie „Herr der Ringe“ von Peter Jackson im Jahre 2001 ist die Elbin Galadriel eine mysteriöse Figur, die durch Anmut, Weisheit, Freundlichkeit und Weitsicht das Publikum verzaubert. 21 Jahre später wird der Charakter, der ursprünglich aus der Feder von J. R. R. Tolkien stammt, für die Amazon-Serie „Ringe der Macht“ komplett umgekrempelt. Er soll moderner werden, eine starke Frauenfigur verkörpern. Das Ergebnis: Galadriel schwingt nun selbst das Schwert, ist dickköpfig, energisch, belehrend, streitlustig und teilweise blutrünstig. Eine Veränderung, die nicht nur bei Herr-der-Ringe-Fans auf Ablehnung stößt.

Dieses Phänomen lässt sich in den vergangenen Jahren bei verschiedenen Filmklassikern beobachten, vor allem bei denen aus dem Hause Disney: Wenn beliebte Zeichentrickfilme mit realen Schauspielern und Schauspielerinnen neu verfilmt werden, wird auch gleich die weibliche Hauptfigur generalüberholt: Ob nun Arielle, Schneewittchen oder Wendy aus Peter Pan - sie alle sollen zeitgemäßer sein. 

Für die Autor:innen heißt das: sie sind selbstbewusster, unabhängiger und das Warten auf den Prinzen steht nicht mehr im Zentrum ihres Denkens und Handelns. Attribute, die früher als „typisch weiblich“ zugeordnet wurden, wie mütterliche Fürsorge, werden gestrichen. So spielt Wendy in der Neuverfilmung nicht mehr Mutterersatz für die „verlorenen Jungs“ im Nimmerland. Dafür gibt sie Peter Pan eine saftige Ohrfeige, als dieser einen Fehler begeht. Bei Filmreihen, die im Star-Wars-Universum spielen, werden sogar extra weibliche Figuren hinzugefügt, die nun im Mittelpunkt der Handlungen stehen, wie Rey Skywalker oder Osha (Serie „The Acolyte“).

Bei den Zuschauerinnen und Zuschauern werden diese Veränderungen kontrovers diskutiert, besonders auf der Plattform Youtube. Manche Filmkritiker sehen eine Verstümmelung des Originals, das ihre Kindheit und Jugend prägte. Zudem wird die Darstellung der Frauenfigur kritisiert, die allen anderen Figuren in jeder Hinsicht überlegen ist, ohne etwas dafür tun zu müssen, keine wirklichen Schwächen mehr aufweist, und mit ihrer oft überheblich wirkenden Art nur wenige Sympathien gewinnen kann. 
Diese Figuren werden von Kritikern oft als „Girl Boss“ betitelt, eine Bezeichnung, die einst positiv besetzt war und eine erfolgreiche und ambitionierte Frau beschreibt, allmählich aber zum Schimpfwort verkommt. Der Kanal Cinema Strikes Back widmete sich diesem Thema in seiner Ausgabe „Das Phänomen Girl Boss - ein Problem fürs Kino?“

Doch während Disney darum ringt, starke Frauenfiguren zu etablieren, werden seit Jahren Bücher zu Bestsellern, in denen Frauen sich in Beziehungen nahezu komplett einem Mann unterwerfen und ihm jede Grenzüberschreitung verzeihen. Diese Männer sind meistens sehr reich, haben ein dunkles Geheimnis - das als Rechtfertigung für ihr übergriffiges Verhalten dient - und sehen unverschämt gut aus. Dieser klassische „Bad Boy“ trifft dann auf das sogenannte „Good Girl“, das versucht, ihn mit ihrer bedingungslosen Liebe zu „heilen“ – was ihr in den Romanen auch gelingt. Nach langem Auf und Ab wird am Ende geheiratet und eine Familie gegründet. 

Als die bekanntesten Vertreter dieses Genres gelten „Twilight“, „50 Shades of Grey“ und „After Passion“. Noch bedenklicher erscheint die Reihe „365 Tage“, bei der eine Frau von einem Mafiaboss entführt und ein Jahr lang gefangen gehalten wird. Was wie ein Psychothriller klingt, wird als prickelnde Liebesgeschichte verkauft, schließlich bietet der Täter seinem Opfer ein Leben im Luxus!

All diese Bücher, die wegen ihres Erfolgs auch verfilmt wurden, haben eines gemeinsam: Sie wurden von Frauen geschrieben und werden hauptsächlich von Frauen gelesen und auch gefeiert. So ist auch das Genre „Dark Romance“, das in Deutschland seit einiger Zeit einen regelrechten Boom erlebt, fest in Frauenhand. In diesem gibt es keinerlei Tabus: Vergewaltigung, Stalking, Entführung - alles wird detailliert beschrieben. Auch hier sind die Täter meistens überragend schön und wohlhabend und ihre Opfer entwickeln trotz Übergriffen und Gewalt über kurz oder lang romantische Gefühle für sie.

Das ist nicht ungefährlich, erklärt der Psychologe Robert Coordes in einem Interview mit der Allgemeinen Zeitung. Wenn solche Inhalte zur dominierenden Quelle für Vorstellungen von Liebe und Partnerschaft würden, bestehe die Gefahr, „dass man die Idee gewinnt, dass das normal ist, dass das die Regel ist“.Doch auch von weiblicher Seite gab und gibt es deutlich Kritik. Maria Lovrić-Anušić griff in der Wiener Zeitung die Thematik 2025 in dem Artikel „Wenn er dir nichts verbietet, liebt er dich nicht!“ auf. In diesem geht es unter anderem um die Frage, warum Frauen in toxischen Beziehung verharren, in denen die physisch und psychisch misshandelt werden. Psychotherapeutin Sonja Prager-Doujak sieht verschiedene Gründe. Einer davon sei „ein popkultureller: Bücher aus dem Dark-Romance-Genre, in denen mit sexuellem und physischem Missbrauch im Kontext von Romantik gespielt wird.“ Da diese Bücher frei verkäuflich sind, besteht vor allem bei jungen Mädchen die Gefahr, dass sie abstumpfen, solche Beziehungen eher tolerieren und weniger Empathie für die Opfer solcher Gewalt entwickeln.

Aber auch die „softeren“ Varianten rufen Kritik hervor. So schrieb die „Emma“ bereits 2009, welche problematischen Botschaften jungen Mädchen in „Twilight“ vermittelt werden: „Welche Schlüsse werden heranwachsende Leserinnen aus dem Verhalten ihres Idols Bella ziehen? Dass Mädchen ihren Beziehungen auch in der Liebe die Oberhand lassen sollten, weil diese anscheinend wissen, welches Tempo gut und recht für beide ist? Oder sollen sie Bellas Unterwürfigkeit gegenüber Edward nachahmen?“ Bella endet schließlich als „Vampir-Hausfrau, hat keine Interessen und keinen Beruf, ihr Leben dreht sich ausschließlich um Edward.“

Auf den ersten Blick scheinen es Frauenfiguren also ebenso schwer zu haben wie reale Frauen: Sind sie zu hart, sind sie der unbeliebte „Girl Boss“. Sind sie zu weich, das verachtete „Good Girl“. Doch dieses Urteil greift zu kurz. Denn es zeigt sich sehr wohl, dass auch starke Frauenfiguren die Herzen des Publikums im Sturm erobern können – wenn sie glaubhaft geschrieben sind und die Geschichte stimmig ist. In der Netflix-Serie „Arcane“ stehen die Schwestern Jinx und Vi im Mittelpunkt, umgeben von zahlreichen weiteren starken weiblichen Charakteren. Die erste Staffel wurde innerhalb der ersten sechs Tage 34 Millionen Mal angesehen und erreichte in 50 Ländern Platz 1 der Netflix-Charts. Bei Rotten Tomatos gab das Publikum ihr eine Bewertung von 93 Prozent. Zum Vergleich: „Ringe der Macht“ mit der unbesiegbaren Galadriel erhielt 38 Prozent. Vielleicht ein Ansporn für sämtliche Autoren und Autorinnen, auch in Zukunft auf starke Frauen mit Ecken und Kanten zu setzen - nicht auf unfehlbare Überwesen.

Quellen und Links

https://www.allgemeine-zeitung.de/ratgeber/familie/dark-romance-wie-praegen-die-romane-unsere-beziehungen-4586719 

https://www.youtube.com/watch?v=s55uM7gGAOQ&t=288s

https://www.wienerzeitung.at/a/wenn-er-dir-nichts-verbietet-liebt-er-dich-nicht?utm_source=firefox-newtab-de-de

https://www.emma.de/artikel/die-twilight-manie-wovon-maedchen-traeumen-263963 

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