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Zwischen Likes und Leid

Social Media im Leben junger Frauen und Mädchen

Eine wahre Flut an Studien zu den Auswirkungen von Smartphones, Social Media-Nutzung und Bildschirmzeiten auf die psychische Gesundheit Jugendlicher und junger Menschen hält die Forschung bereit, und so manches Ergebnis ist beängstigend. So zeigten z.B. Daten aus der UK Millennium Cohort Study, einer britischen Längsschnittstudie mit Kindern, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts geboren wurden, dass Mädchen, die soziale Medien täglich fünf Stunden oder mehr nutzen, ein um etwa 50 % höheres Risiko für depressive Symptome haben als Gleichaltrige mit weniger Nutzung. 

Erleben wir also tatsächlich bereits eine Epidemie psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen, ein “rewiring of childhood” durch digitale Technologien, wie es ein prominenter US-Autor in seinem Buch zum Thema bezeichnet? Schließlich hat Meta (noch in Form von Facebook) selbst Daten zusammengetragen, nach denen Instagram die psychische Gesundheit von Teenager-Mädchen teils stark negativ beeinflusst, was unveröffentlicht blieb und als Enthüllung der sog. Facebook Files Wellen schlug. Oder schenken wir doch Artikeln Glauben, die erst einmal pauschal „Entwarnung“ titeln? 

Klar ist: Bisher hat keine Studie einen direkten Kausalzusammenhang zwischen der Nutzung sozialer Medien und schlechter psychischer Gesundheit festgestellt. Dass Social Media keine völlig unbedeutende Rolle bei der Entwicklung psychischer Probleme spielt, ist andererseits ebenso deutlich. Die Wahrheit liegt wohl, wie so oft, dazwischen. Denn korrelative Zusammenhänge existieren durchaus und die Studienlage lässt erkennen, dass die Verbindung zwischen Social Media-Nutzung und psychischen Problemen überproportional Mädchen und junge Frauen zu betreffen scheint. Bei ihnen zeigen sich vielfach depressive Symptome, eine negative Selbstwahrnehmung, Essstörungen und ein allgemein verringertes Wohlbefinden. 

Woran liegt das? Forschung zu diesem hochkomplexen Themenfeld ist nötig, denn digitale Medien sind längst ein zentraler Teil des Alltags junger Menschen. Die JIM (Jugend, Internet, Medien) -Studie 2024, eine Basisuntersuchung zum Medienumgang 12-bis 19-Jähriger in Deutschland, zeigt: 98 % der Jugendlichen besitzen ein Smartphone, 96 % nutzen täglich das Internet. Mädchen sind dabei häufiger in sozialen Netzwerken wie WhatsApp, Instagram, TikTok und Snapchat unterwegs – mit Unterschieden von 5-11 Prozentpunkten gegenüber Jungen. In der Gruppe der jüngeren Kinder zwischen 6 und 13 Jahren haben insgesamt 46 % ein eigenes Smartphone, bei den 12  bis 13 jährigen sind es bereits 79 %, so die Studie KIM (Kindheit, Internet, Medien) 2024, die die Mediennutzung dieser Altersgruppe analysiert. Instagram ist hier besonders bei Mädchen stärker verbreitet (16 % gegenüber 8 % bei Jungen). Ähnliche Zahlen zeigen sich auch EU-weit, wie eine Studie im Auftrag des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter des Europäischen Parlaments ergab. Damit verschiebt sich die Nutzung von Social Media bis ins Grundschulalter, obwohl diese laut Nutzungsbedingungen erst ab 13 Jahren erlaubt ist – und nur rund die Hälfte der Eltern von 6 - 13-Jährigen hat beispielsweise Regelungen zur Nutzung von Instagram etabliert.

Was bedeutet dies für Mädchen und junge Frauen? Die Zahlen zeigen: Social Media Nutzung beginnt früh und ist bei Mädchen stärker ausgeprägt. Sie verbringen besonders viel Zeit auf bildbasierten Plattformen und bevorzugen kommunikative Formate. Auch folgen sie Influencer*innen stärker als Jungen. Diese Art der Nutzung, bei der es weniger um das reine Konsumieren von Inhalten, sondern mehr um soziale Verbindung, Selbstdarstellung und Austausch geht, kann stärken, aber auch emotional belasten. Dass Letzteres nicht selten der Fall ist, zeigt die Studienlage. Auch wenn grundsätzliche Zusammenhänge zwischen schlechter psychischer Verfassung und Social Media-Nutzung bereits belegt sind, wird verstärkt der Fokus darauf gerichtet, die darunterliegenden Prozesse weiter zu erforschen. So greift es tatsächlich zu kurz, allein auf die Dauer der Social Media-Nutzung zu schauen. Weitere Faktoren, die einen wesentlichen Einfluss auf das Wohlbefinden haben können, sind z.B. schlechte Schlafqualität und das Verdrängen „analoger“, der Gesundheit förderlicher Aktivitäten aufgrund von ausufernder Social Media-Nutzung, Online-Belästigung, oder FOMO (fear of missing out). Insbesondere wird deutlich, dass es auf die Art und Weise anzukommen scheint, wie soziale Medien genutzt werden und spezifische Mechanismen greifen, die Mädchen anfälliger für negative Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit machen können: Die besonders bildfokussierten Apps befeuern soziale Vergleiche und nehmen dadurch insbesondere auf das Körperbild negativen Einfluss. Dies spielt möglicherweise eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung psychischer Probleme. 

Untersuchungen beschreiben einen „perfect storm“: das Zusammenwirken 

  • der Merkmale und Funktionen von Social Media (z.B. idealisierte Bilder von Gleichaltrigen, quantifizierbares Feedback über Likes etc.)
  • mit Entwicklungsphasen Jugendlicher (steigende Bedeutung der Beziehungen mit Gleichaltrigen, sozialer Status)
  • und soziokulturellen Geschlechtersozialisationsprozessen (z.B. gesellschaftliche Überbetonung des körperlichen Aussehens von Mädchen und Frauen) 

ist ein komplexes Wechselspiel, durch das sich zunächst die Aufmerksamkeit verstärkt auf das Aussehen und den Körper anderer Personen und sodann auch auf den eigenen richtet, um dann Sorgen um das eigene Körperbild zu verschärfen – Stichworte Selbstobjektifizierung, Verinnerlichen des Schlankheitsideals und body shame. Am Ende stehen dann für viele junge Frauen Depressionen und Essstörungen.

Schon in der analogen Welt haben Mädchen und Frauen mit der Reduzierung auf ihr Aussehen und gesellschaftlichem Schönheitsdruck zu kämpfen. Das „rabbit hole“ der Social Media-Apps mit seinen (digital) optimierten Bildern und nie endender Verfügbarkeit multipliziert das Ganze nun um ein Vielfaches. Nicht zuletzt geschlechtsspezifische, gezielte Werbung auf den Social Media-Plattformen verstärkt Geschlechterstereotype und weitet sie aus, so die Feststellung der EU-Untersuchung. Ebenso habe der Fokus auf Popularität und Likes, der in den Funktionen und Algorithmen von Plattformen wie Facebook und Instagram verankert ist, einen vorwiegend geschlechtskonservativen Einfluss darauf, wie Nutzer sich selbst präsentieren. 

Dem Patriarchat geht es also gut in der digitalen Welt. Was aber tun? Ein grundsätzlich feministisch geprägtes Aufwachsen aller Kinder könnte helfen, möchte man angesichts von Thinspiration, KI-generierten Modelfotos und wachsender Online-Misogynie Eltern und Gesellschaft nahelegen. So stellte auch eine Studie fest, dass starke feministische Überzeugungen als Schutzfaktor wirkten, sodass diese Frauen trotz ihrer Instagram-Nutzung keine „Körperüberwachung“ betrieben. Auch andere externe Faktoren, wie Bildung, Selbstwert und soziokulturelle Überzeugungen, der Einfluss der Eltern und andere individuelle Faktoren können eine Rolle dabei spielen, ob die Nutzung sozialer Medien zu psychischen Problemen führt.

Social Media ist ambivalent: Einerseits bietet es Mädchen und Frauen Zugang zu Gemeinschaft, Austausch und Empowerment, siehe #MeToo. Andererseits verstärkt die Nutzung sozialer Medien den Fokus auf Schönheitsideale und soziale Vergleiche. Die Liste der Empfehlungen, um Social Media-Stress und -Gefahren einzudämmen, ist fast ebenso lang wie die der Forschung zu den Auswirkungen auf die mentale Gesundheit: Sicherlich können individuelle Strategien helfen, z.B. eine Reflexion des eigenen Nutzungsverhaltens und regelmäßige Pausen (z. B. medienfreie Zeiten und Zeitlimits). So ergab eine kanadische Studie von 2024, dass eine Woche Social Media-Abstinenz bei jungen Frauen zu einem besseren Selbstwertgefühl und Körperbild führten. Relevant sind bei derartigen Empfehlungen wiederum die ebenfalls bereits untersuchten Schwierigkeiten (nicht nur von Jugendlichen!), das Smartphone auch mal wegzulegen. So stimmten 66 % der 12-19-Jährigen in der JIM-Studie der Aussage zu, regelmäßig länger am Handy zu sein als geplant. Die bewusste Stärkung des Selbstbewusstseins und das Pflegen sozialer Kontakte abseits der digitalen Welt sowie eine ausgewogene Freizeitgestaltung werden ebenfalls als relevante Faktoren beschrieben. Aber letztlich führt die Komplexität der Thematik dazu, dass strukturelle Maßnahmen wie z.B. Medienbildung und digitale Kompetenz an Schulen, um ein Verständnis für die Wirkmechanismen rund um Social Media zu bekommen, ebenso notwendig sind, wie eine Überprüfung der Plattformen im Hinblick darauf, welche Anpassungen möglich wären, um vergleichsbasierten Social-Media-Stress zu reduzieren.

Quellen und Links

Kelly Y., Zilanawala A., Booker C., Sacker, A. (2018). Social Media Use and Adolescent Mental Health: Findings From the UK Millennium Cohort Study. https://www.thelancet.com/journals/eclinm/article/PIIS2589-5370(18)30060-9/fulltext

https://mpfs.de/studie/jim-studie-2024/

https://mpfs.de/studien/kim/ 

https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2023/743341/IPOL_STU(2023)743341_EN.pdf (The impact of the use of social media on women and girls) März 2023

Choukas‑Bradley, S., Roberts S. R., Maheux, A.J., Nesi, J. (2022). The Perfect Storm: A Developmental-Sociocultural Framework for the Role of Social Media in Adolescent Girls' Body Image Concerns and Mental Health. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35841501/

Thiel, Kira. (2024) Von Aufwärtsvergleichen und Abwärtsspiralen: Soziale Vergleiche auf Instagram. https://leibniz-hbi.de/3590/

Balan, Dmitriy (2023).  How Smartphones Affect the Social-Emotional Development of Adolescents in: The Journal of Epistemology - The Theory of Knowledge https://jessup.edu/wp-content/uploads/2023/12/Fall-2023-The-Journal-of-Epistemology-The-Theology-of-Knowledge.pdf

Reinartz, Fiona. (2024).  Positive Selbstwahrnehmung in sozialen Medien – Quantitative Evaluation einer positiv-psychologischen Kurzintervention https://forschung.fom.de/fileadmin/fom/forschung/iwp/Schriftenreihe/FOM-Forschung-iwp-Schriftenreihe-Band-19-Reinartz-Positive-Selbstwahrnehmung-in-sozialen-Medien-2024.pdf

Olivia E. Smith, Jennifer S. Mills, Lindsay Samson. (2024). Out of the loop: Taking a one-week break from social media leads to better self-esteem and body image among young women. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1740144524000378 

Jolien De Coen, Lien Goossens, Guy Bosmans, Gillian Debra, Sandra Verbeke. Body dissatisfaction and disordered eating symptoms in children’s daily life: Can parents protect against appearance comparison on social media? https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1740144523001900

Rachel Cohen, Toby Newton-John, Amy Slater The relationship between Facebook and Instagram appearance-focused activities and body image concerns in young women. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1740144517302450

Feltman, C. E., & Szymanski, D. M. (2018). Instagram use and self-objectification: The roles of internalization, comparison, appearance commentary, and feminism. Sex Roles: A Journal of Research, 78(5-6), 311–324. https://doi.org/10.1007/s11199-017-0796-1

Schaden Tiktok und Instagram wirklich? Eine Studie gibt Entwarnung. https://www.tagesanzeiger.ch/mental-health-soziale-medien-nicht-schaedlich-fuer-jugendliche-843282410216 

Aktions- und Feiertage im November

1. November Allerheiligen

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25. November Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen und Beginn der Orange Days oder 16-Tage Kampagne